08-09-2011 – C. Harlinghausen: “Internet sorgt für Gleichberechtigung unter Parteien”

Curt Simon HarlinghausenDas Internet und vor allem Social-Media-Kanäle bieten eine Vielzahl von Möglichkeiten der Informationsbeschaffung und Darstellungsmöglichkeiten. Andere-Parteien.de ist im Gespräch mit Social-Media-Experte Curt Simon Harlinghausen der Frage nachgegangen, warum besonders für politische Kleinparteien Social-Media von großer Bedeutung sein kann. Des Weiteren gibt Harlinghausen wichtige Tipps, wie Parteien und Politiker Social-Media richtig nutzen können.

Andere-Parteien.de: Die Wahlen in Berlin stehen kurz davor. Im Fokus der Kleinparteien ist vor allem die Piratenpartei. Was trauen Sie ihr in Berlin zu?

Curt Simon Harlinghausen: Ich traue Ihr als Nischenpartei 1-3% zu, aber für den Einzug in die politische Welt wird es wie 2009 nicht reichen. Dafür fehlt noch die Substanz und die Reichweite, die Anerkennung und vor allem einen Kopf, der die Wähler magnetisch anzieht.

Andere-Parteien.de: Berlin gilt als besonders gut „vernetzt“. Worin kann sich hierbei der Wahlkampf auch im Netz unterscheiden?

Harlinghausen: So gut vernetzt würde ich Berlin im Vergleich zu Hamburg, München oder Düsseldorf nicht sehen. Natürlich gibt es in der Millionenmetropole viele Menschen mit Internet-Affinität. Auch eine große Anzahl an Smartphone-Nutzern, aber gerade diese Zielgruppe haben nicht immer eine sehr hohe Motivation sich mit der Politik auseinander zu setzen, da es ihnen in der Regel gut geht und ihr Fokus auf anderen Themen liegt. Die Alternative Szene ist in Berlin stark ausgeprägt, aber nicht ausreichend, um eine Partei, wie die Piraten ins politische Rampenlicht zu heben.

Andere-Parteien.de: Wie schätzen Sie die Online-Wahlkampagnen der Parteien bei der Abgeordnetenhauswahl ein?

Harlinghausen: Mittlerweile ist auch in den Parteien verstanden worden, dass ein Wahlkampf ohne digitale Dialoge, Ansprache der Meinungsmacher und Influenzier, sowie eine umfangreiche Online-Kampagne nicht mehr zu gewinnen ist. Vor allem gibt es Zielgruppen, die nur noch Online zu erreichen sind, wie die jungen Wähler.
Aber diese Kampagnen sind noch nicht so vernetzt wie sie sein könnten und müssten und vor allem beginnen diese Kampagnen kurz vor der Wahlperiode.
Eine gute Kampagne beginnt nach der Wahl und führt einen authentischen, konsequenten und transparenten Dialog über die ganze Zeit vor der Wahl.
Nur so gelingt es den Parteien langfristig Wähler zu binden und neue Wähler-Gruppen zu erreichen.

Andere-Parteien.de: Die Grünen haben mit einem ersten “Argumented Reality”-Projekt ziemlich viel positive Reaktionen erhalten. Werden sich diese Tools durchsetzen? Oder ist dies nur ein Wahl-Gag, der beweisen soll, wie fortschrittlich man als Partei ist?

Harlinghausen: Die Partei ist im Punkto Dialog sehr weit, im Vergleich zu allen anderen deutschen Parteien. Sie haben verstanden, dass man Aufmerksamkeit und Konversation benötigt. Ob digital, in der breiten Masse oder mobil. Da zahlen die Aktivitäten voll ein. Menschen reden darüber und bekommen die Möglichkeit sich am Wahlkampf zu beteiligen. Das ist genau was viele wollen. Aktiver Dialog und nicht passives “Stimmvieh-Da-Sein”.

Andere-Parteien.de: Ist der Bürger schon so weit, dass er Wahlkampf via Smartphone annimmt?
Harlinghausen: Nicht alle, aber es werden immer mehr und diese sind dann auch interessant für Parteien. Die Anzahl der Smartphones wächst schneller als angenommen und der mobile Markt wird immer relevanter für alle Gruppen und Parteien.

Andere-Parteien.de: Parteien wie „Die Freiheit“ oder auch „Pro Deutschland“ investieren massenhaft in SEM-Keywords (Anm. Bezahlte Suchmaschinenwerbung). Lässt sich diese Investition auch in politischem Erfolg messen bzw. halten Sie es für sinnvoll, dass Parteien SEM aktiv nutzen?

Harlinghausen: SEM ist eine Möglichkeit Zielgruppen genau anzusprechen, aber auch sehr aufwendig. Facebook, Google und Co. bieten umfangreiche Möglichkeiten Zielgruppen zu segmentieren, sie anzusprechen und aus einer breiten Ansprache in einen 1:1-Dialog zu bekommen. Wenn die Botschaft, die Story oder der inhaltliche Mehrwert stimmt, macht es auf alle Fälle Sinn und kann auch einen erheblichen Einfluss auf den politischen Erfolg haben. Was beim Blick auf die Parteienlandschaft und Social-Media auffällt, ist vor allem, dass Kleinparteien äußerst gut vertreten sind, während es bei den großen Parteien häufig noch Defizite gibt. Welche Chancen bringt Social-Media für die Parteienlandschaft mit?

Andere-Parteien.de: Was beim Blick auf die Parteienlandschaft und Social-Media auffällt, ist vor allem, dass Kleinparteien äußerst gut vertreten sind, während es bei den großen Parteien häufig noch Defizite gibt. Welche Chancen bietet Social-Media für die Parteienlandschaft?

Harlinghausen: Die “kleinen” Parteien haben die Möglichkeit mit geringen Mittel und guten Auftritten natürlich Reichweite zu generieren. Um so besser sie diese Möglichkeiten nutzen, um so besser sind ihre Chance, sich Gehör und Aufmerksamkeit zu verschaffen. Wenn sie es dann noch schaffen Ihre Inhalte an die richtigen Zielgruppen zu bringen und diese von den Werten und Zielen der Partei zu überzeugen, kann dies auf alle Fälle zu einer Atomisierung der Kleinparteien-Landschaft führen. Gerade in der digitalen Welt entstehen immer mehr Nischen, die sich aber zum Teil auch aus diesem Zustand entwickeln und Relevanz bekommen. Dafür bedarf es entweder einer hohen inhaltlichen Relevanz oder einer Leitfigur mit hohem Vertrauen und Einfluss. Dazu müssen das Timing, die Infrastruktur und die Kommunikation stimmen. Das erfordert jede Menge Ressourcen und persönliches Engagement.

Andere-Parteien.de: Besteht im Netz mehr „Chancengleichheit“ als auf der Straße für Parteien?

Harlinghausen: Ja, da jeder im Netz die Freiheiten hat sich zu präsentieren und heute nicht mehr die Penetration von Botschaften im Vordergrund steht, sondern viel mehr der Inhalt und Mehrwert der Botschaft. Das können sich die diese Parteien zur Nutze machen, wenn sie es schaffen hinter Ihre Aussagen transparent Substanz zu zeigen.

Andere-Parteien.de: Bisher werden Wahlen immer noch auf der Straße gewonnen. Trotz Wahl-O-Maten lassen sich nur wenige Wähler online von einer Partei überzeugen. Woran liegt das?

Harlinghausen: Politik ist auch bei uns ein People-Business. Und das wird es, meiner Meinung nach, immer mehr. Denn es fehlt den meisten Parteien an einer stringenten Haltung und einem roten Faden, der sich auch über die Jahre hinweg durchzieht und somit den Wähler Vertrauen und Orientierung gibt. Dadurch rücken die Menschen in den Vordergrund und nur sie schaffen die nötige Nähe und das Vertrauen. Temporär.

Andere-Parteien.de: In Schleswig-Holstein fiel vor kurzem sogar ein designierter Ministerpräsident-Kandidat über eine „Facebook-Affäre“. Erlaubt Social-Media eine ganz besondere Nähe zum Wähler bzw. sind die Politiker sich dessen auch bewusst?

Harlinghausen: Ja, Social Media kann eine Nähe zum Wähler für Parteien und Dialoge bedeuten, aber vielen Parteien und Politikern ist die Mechanik nicht bewusst. Die Transparenz im Netz wird immer eklatanter für unser Handeln und das passt nicht immer zu jedem Politiker.

Andere-Parteien.de: Plagiats-Portale wie VroniPlag, über welches schon einige Politiker gestolpert sind,zeigen die Kontrollmöglichkeit im Internet durch die Massen. Wie beurteilen Sie die Entwicklung hier?

Harlinghausen: Transparenz hat Vor- und Nachteile. Gerade in diesem Bereich ist es ja zu begrüßen, dass es nicht mehr so einfach ist, sich mit den Lorbeeren anderer zu schmücken. Die Transparenz wird sich aber noch viel mehr in unseren Alltag etablieren. Insbesondere bei Produkten, Preisen und Persönlichkeiten. Marken bekommen ganz neue Aufgaben und der Mensch wird die Möglichkeiten der Technik erst noch wirklich ausreizen lernen. Im positiven, wie im negativen Sinne.

Andere-Parteien.de: Viele Webseiten von Politikern gleichen immer noch einer reinen Biographiedarstellung. Kommuniziert mit dem Wähler wird nur wenig. Wird hier Potential unterschätzt?

Harlinghausen: Total. Insbesondere der Dialog ist das beste Instrument im Wahlkampf. Nicht nur Offline, vor Ort, sondern überall und auch auf den Webseiten, Social Networks und Portalen.

Andere-Parteien.de: Als Regierungssprecher Seibert den Twitter-Account der Bundesregierung einführte,gab es in Berlin viel Aufregung. Kann man heute sagen „zu unrecht“?

Harlinghausen: Ja und nein. Ich bin Befürworter des Twitterkanals, aber leider hat sich Herr Seibert nicht immer geschickt mit dem Medium verhalten. Einige Pannen sind schnell verbreitet worden, die früher nicht diese Dynamik bekommen hätten. Aber es war ein wichtiger Schritt für die deutsche Politik, dass man sich endlich mehr mit den “neuen Medien” auseinandersetzt.

Interview Tobias Schlitzke

Trackbacks & Pings

  1. Curt Simon Harlinghausen « Forum Fuhrberg am 09 Sep 2011 um 9:29 pm

    [...] 9. September 2011 sitafu Hinterlasse einen Kommentar Kommentare lesen Quelle: [Andere Parteien.de] 08-09-2011 – C. Harlinghausen: “Internet sorgt für Gleichberechtigung unter Parteien” Das [...]

Kommentare

  1. Wow. Die Piratenpartei hat sich mit fast 10% wirklich überraschend stark im Wahlkampf durchgesetzt. Das hätte ich nicht gedacht.

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