10-19-2018 – Phänomen Freie Wähler – eine andere Partei? 5 Gründe, warum dies auch so bleiben wird

Kann man eine Partei, die zum dritten Mal hintereinander in einen Landtag einzieht und wahrscheinlich in der Regierung landen wird, überhaupt noch als andere, also nicht-etablierte Partei bezeichnen?

Bei den Freien Wählern lautet die Antwort eindeutig ja, denn ihre Etablierung beschränkt sich nach wie vor auf lediglich ein Bundesland, Bayern. Ihre Sonderrolle wird deutlich, als die Medien in der Wahlnacht des 14. Oktober 2018 nach einem neuen Begriff für die wahrscheinliche Koalition zwischen CSU und FW suchten. Unter den zahlreichen in den letzten Jahren erfundenen Begriffen, von R2G über Jamaica (welches die schwarze Ampel “Schwampel” ausstach) über Kenia bis zur Deutschland-Koalition, taucht nun die Bayern-Koalition auf.

Bayern-Koalition, weil diese Freien Wähler eben ein bayrisches Phänomen sind. Zwar existiert auch ein Bundesverband der Freien Wähler, dem selbstverständlich der omnipräsente Hubert Aiwanger vorsitzt, aber 2017 erreichten sie bei der Bundestagswahl lediglich 1,0% mit der Mehrzahl an Stimmen aus Bayern erzielt.

Was spricht gegen eine bundesweite Etablierung?

Zunächst einmal die Zahlen. Die bundesweiten 1,0% hatten die FW bereits in 2013, es gab 2017 also keinen Zuwachs, obwohl das Potential angesichts der Unzufriedenheit vieler insbesondere konservativer Wähler mit Merkel vorhanden wäre. Immerhin gerieren sich die FW auch als Eurokritiker erster Stunde. Allerdings ist die Position des EU-Skeptizismus im deutschen Parteiensystem inzwischen durch die AfD besetzt.

Zweitens die Inhalte. Konservativ ist da schon das Stichwort, die FW sind eine klar konservativ aufgestellte Partei und nicht eine linke Alternative zur CSU, wie viele Journalisten am Wahlabend fabulierten, eine Linksabwanderung von CSU Wählern zu FW herbeiwünschend. Erster Programmpunkt der FW am Tag nach der Wahl verkündet war eine Ausweitung der Abschiebungen, die in Bayern trotz vieler Ankündigungen der CSU auf niedrigstem Niveau verharren. Außerdem erklärten die FW an, sich dem Kontaktboykott zur AfD im Landtag zu verweigern und erteilten der Fantasie einer Viererkoalition im Wahlkampf eine klare Absage. Wir wählen keinen linken Kandidaten, egal ob Grün oder SPD, an die Spitze Bayerns – eine klare konservative Positionierung, die die FDP vermied. Mit der konservativen Ausrichtung hatte die FW einen nicht für möglich gehaltenen Erfolg erzielt, immerhin sahen sie manche Prognosen vor kurzem noch bei 6% um den Einzug kämpfend. Aber Bayern ist anders, bundesweit fehlt dieses konservative Wählerpotential und da, wo es womöglich vorhanden wäre, wird es von der AfD bereits bedient.

Drittens die Struktur. Die FW Wählerschaft ist stark mit dem Faktor Stadt-Land korreliert. Also: umso ländlicher, umso mehr FW Wähler, umso städtischer, umso weniger. Prinzipiell trifft das auf CSU und AfD auch zu. Allerdings nicht vollständig, Beispiel Mittelfranken: Im Stimmkreis Erlangen liegen FW mit 6,6% und AfD mit 6,5% nahezu gleichauf. Im benachbarten Fürth liegt die FW mit 6,5% ähnlich, die AfD aber bei 10,9%, in Nürnberg Süd ist der Unterschied mit 4,2% FW und 12,2% AfD noch deutlicher. In Oberbayern erhält die AfD ihr bezirksweit stärkstes Ergebnis sogar in einer Stadt und nicht im ländlichen Raum, nämlich mit 12,9% in Ingolstadt. Beispiel Unterfranken anhand der Städte Würzburg und Aschaffenburg. AfD und CSU haben in Ersterer mit 7,0% und 29,2% deutlich schwächere Ergebnisse als in Zweiterer mit 10,9% und 37,3% – die FW sind in beiden Städten mit 5,2 und 5,3% aber gleich schwach. Würzburg hat eine Universität, Aschaffenburg keine, ebenso Erlangen bzw Nürnberg/Fürth. AfD und CSU haben also in Universitätsstädten mit ihrem studentischen Klientel schwache Ergebnisse, die FW ist aber in jeder Stadt unabhängig ob Studenten- oder Industriestadt schwach. Die Korrelation von Stadt-Land ist beim FW Wahlergebnissen perfekt – perfekt aber nur im statistischen Sinne. Für eine bundesweite FW bedeutet es, dass sie in den großen westdeutschen Bundesländern mit hoher Verstädterung, wie NRW, Hessen, Baden-Württemberg viel schlechtere Strukturen vorfinden als im ländlichen Bayern.

Viertens das Personal. Drei Stimmkreise, Landshut, Neuburg/Schrobenhausen und Forchheim, in denen die FW mit 25% Erststimmen und mehr der CSU so nahe kam, dass es fast zum Gewinn des Direktmandats gereicht hätte, sind kein Zufall. In vielen Landkreisen kann die Partei mit prominenten Kandidaten, viele davon bekannt aus der Kommunalpolitik, dem Wähler ein attraktives Angebot für dessen Erststimme machen. Und die zählt im bayrischen Wahlsystem, anders als beim Bundestag, genauso viel wie die Zweitstimme. Aber auch für die Zweitstimmen, die nach bayrischem Wahlrecht personalisiert werden inform von einer Vorzugsstimme für einen bestimmten Kandidaten, liefern die FW vor Ort bekannte und angesehene Persönlichkeiten. Ein Faktor, an dem es der bayrischen AfD offenkundig mangelte, die sich teilweise mit aus anderen Gebieten importierten Kandidaten zu behelfen versuchte, eher erfolglos. Bundesweit stellt der Faktor Personal aufgrund des Wahlrechts allerdings kein relevantes Plus für die FW dar.

Fünftens die Medien. 2014 gelang der FW bereits in einem weiteren Bundesland der Landtagseinzug. Hätten Sie gewusst, wo? Wegen des Gewinn eines Direktmandats und der dortigen Grundmandatsklausel im Wahlrecht zogen drei Kandidaten in den Brandenburger Landtag ein – von der Berichterstattung kaum wahrgenommen. Wäre die FW dagegen eine “hippe” Partei aus dem linken Spektrum, wäre diese Sensation sicher mit mehr medialer Aufmerksamkeit bedacht worden. Die Gruppe im Brandenburger Landtag gehörte allerdings nicht dem FW Bundesverband an und löste sich 2017 wegen persönlicher Animositäten wieder auf – der Faktor Mensch, neben des medialen Schweigens eine weitere Komponente, warum die Freien Wähler bundesweit eine nicht-etablierte Partei bleiben werden. Interessant wird es für ihre Konkurrenten, wer den Großteil der 11,6% bayrischen FW Wählerstimmen bei einer Bundestagswahl übernehmen wird – die AfD, die FDP oder doch eine CSU?

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