28-11-12 – Prof. Dr. U. Jun: “Das ist die Erfolgsformel für Kleinparteien”

Prof. Dr. Uwe Jun (Foto: privat)Vor allem die Piratenpartei hat gezeigt: Kleinparteien befinden sich im Aufwind und sollten in der Diskussion nicht außer Acht gelassen werden. „Andere-Parteien.de“ hat sich zu diesem Zweck mit Prof. Dr. Uwe Jun unterhalten. In dem Gespräch geht es neben dem aktuellen Thema der Piratenpartei, möglichen Benachteiligungen von Kleinparteien auch um die Chancen einer Rechtspartei. Zudem gibt Jun die theoretische Formel aus, wie es mit einer erfolgreichen Parteiengründung klappen könnte.

Andere-Parteien.de: Aktuell scheint es so, dass sich der positive Tenor der Berichterstattung über die Newcomer der Piratenpartei gedreht hat. Die Partei hat nun erstmals mit kritischen Berichten zu kämpfen. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Prof. Dr. Uwe Jun: Es stimmt natürlich, dass die Piratenpartei von der breitflächigen Medienaufmerksamkeit profitiert hat. Vor allem eine kleine und neue Partei braucht die Unterstützung der Medien, um Aufmerksamkeit zu gewinnen. Dies hat bei den Wahlergebnissen sehr geholfen. Nun sind die Piraten aber aus dem Turm der Sonstigen heraus gekommen und müssen sich dem Wind der Realität stellen. Dieser ist nicht härter als bei anderen Parteien. Jedoch zeigen sich nun eben die Probleme, die ein solch schnelles Wachstum mit sich gebracht hat.

Andere-Parteien.de: Half der Erfolg von Berlin der Partei vor der Gefahr einer möglichen Stagnation?

Jun: Erfolge in Stadtstaaten sind immer einfacher für eine kleine Partei. Das ist in Hamburg oder Bremen ähnlich wie in Berlin. Nach der letzten Bundestagswahl konnte man durchaus sehen, dass die Piraten in ihrer Entwicklung etwas stagnierten. Somit kam der Erfolg der Partei zu rechten Zeit, da die Partei vor allem Probleme hatte ein breiteres Profil zu finden als eine Ein-Themen-Partei zu sein. Daran hatte ja auch ihre Schwesterpartei in Schweden gelitten.

Andere-Parteien.de: In Berlin konnte man beobachten, dass sobald die Piratenpartei in den sichtbaren Bereich innerhalb der Meinungsumfragen landete, die Werte deutlich nach oben gingen. Gibt es einen Zusammenhang zwischen einer Meinungsprognose und tatsächlichem Wählerverhalten?

Jun: Der Wähler überlegt sich natürlich, welche Chancen seine Partei hat und möchte seine Stimme nicht verschenken. Damit haben Kleinparteien vor allem zu kämpfen. Wenn der Wähler jedoch merkt, dass seine Stimme doch nicht verschenkt sein könnte und eine Partei durchaus in die Nähe eines möglichen Parlamentseinzuges kommen könnte, hat dies eine direkte Auswirkung auf  die Prognosen bzw. spätere Wahlergebnisse. Neben Berlin unterstützt auch ein anderes Beispiel diese Beobachtung: Im Saarland war die Entwicklung dabei fast identisch.

Andere-Parteien.de: Auf „Andere-Parteien.de“ erklärte Dr. Holger Liljeberg vom unabhängigen Meinungsforschungsinstitut INFO GmbH vor einiger Zeit, dass man um genaue Prognosen auch für Kleinparteien zu bekommen, einfach mehr Wähler befragen müsste. Was halten Sie von dieser Aussage?

Jun: Dieser Vorschlag ist natürlich sinnvoll, aber wohl sehr schwierig umsetzbar. Aber eine praktikablere Lösung wäre, dass in diesen Umfragen auf mögliche Schwankungen und Ungenauigkeiten explizit hingewiesen wird, die das Ergebnis beinhaltet. Dann wären auch Schätzungen darstellbar.

Andere-Parteien.de: Stimmen Sie also der Behauptung zu, dass die Meinungsumfragen in der aktuellen Form eine Benachteiligung für die Kleinparteien darstellen?

Jun: Aus demokratietheoretischer Sicht ist das natürlich eine Benachteiligung im Sinne der Chancengleichheit aller Parteien. Aber wie bereits erwähnt, in der Praxis ist eine spürbare Veränderung schwer umsetzbar, da für die Meinungsforscher hoher Aufwand entstehen würde.

Andere-Parteien.de: Viele Kleinparteien dümpeln seit Jahren, teilweise Jahrzehnten, im unteren Prozentebereich herum. Was könnten mögliche Erfolgsfaktoren für Kleinparteien sein?

Jun: Die Piraten haben es ja gerade vorgemacht. Dabei gibt es drei Möglichkeiten, die einen Erfolg ermöglichen können. 1.) Dem Wähler breite Möglichkeiten der Selbstentfaltung in der Partei bieten. 2.) Ein zentrales Thema besetzen. Es muss eine breite Akzeptanz in der Gesellschaft haben und vor allem die Mobilisierung der Wählerschichten bedeuten. Das hat zum Beispiel bei den GRÜNEN in den 80gern mit ihrer Anti-AKW-Bewegung funktioniert. 3.) Die Kandidaten. Man braucht bekannte Personen, die die Partei führen und somit für Aufmerksamkeit innerhalb der Medienlandschaft und Wählerschicht sorgt. Im Bereich des bürgerlichen Populismus ist es vor allem wichtig, dass diese Person direkt und glaubhaft aus dem Bürgertum kommt.

Andere-Parteien.de: Sie sprechen indirekt die Möglichkeit einer Parteigründung im bürgerlichen Lager rechts der CDU/CSU an. Wie beurteilen Sie deren Chancen?

Jun: Zentral ist es, dass es dieser Partei gelingt, sich von der deutschen Vergangenheit zu distanzieren. Sie muss andere Schwerpunkte setzen als nur eine anti-religiöse oder dezidiert-rassistische Politik. Die FDP hat in ihrer Regierungszeit seit 2009 zum Beispiel einem potenziellen Konkurrenten Raum gelassen, so im Bereich des Vertrauens in eine stabile Währung, der effizienten Steuerpolitik oder der Senkung der Staatsverschuldung. Zudem muss sie einen vertrauenswürdigen Kandidaten aufbauen, der, wie erwähnt, über ausreichend Popularität in der Bevölkerung verfügt. Ob es dann mögliche 12-15 Prozent sind, wie Kollege Oskar Niedermayer ermittelt hat, oder weniger/mehr hängt von vielen einzelnen Faktoren der Wahlentscheidung, des ökonomischen und sozialen Umfelds ab.

Andere-Parteien.de: Es gibt, vor allem auf Landesebene, den Trend zu Fünf- oder gar Sechs-Parteien-Parlamente. Ist damit die Gefahr gegeben, dass die Regierungsfähigkeit irgendwann nicht mehr gegeben sein könnte?

Jun: Zum ersten stimme ich zu, dass sich diese Entwicklung fortsetzen könnte. Aber auch dann sehe ich die Regierungsfähigkeit der Parteien nicht in Gefahr. Die Parteien sind dann einfach vielmehr im Bereich der Konsensfähigkeit und Kompromissbildung gefordert. Dabei sehe ich aber weniger das Problem bei den größeren Parteien, sondern vor allem bei den Kleinparteien. Für diese ist ein Zugeständnis viel schwieriger einzugestehen. Die Großparteien gelten zu Recht als allgemein koalitionsfähig und -willig, die kleinen Parteien – zumindest untereinander – sind es weniger.

Andere-Parteien.de: Der Trend des Wählers geht immer mehr zu weiteren Parteien und die großen Parteien verlieren ihre Mitglieder. Hat dies auch etwas mit der Wandlung unserer Gesellschaft zu tun, die aus immer mehr Singles besteht?

Jun: Auf jeden Fall spiegelt sich diese gesellschaftliche Entwicklung innerhalb der Parteienlandschaft nieder. Schließlich sind die Parteien ja Akteure der gesellschaftlichen Interessen. Das drückt sich dann in unterschiedlichen Strömungen aus, die von den kleineren Parteien zum Teil eindeutiger besetzt werden können. Der Pluralismus des Parteienwettbewerbs ist für Demokratien konstitutiv.

Kommentare

  1. Gutes Gespräch und gute Aussagen. Ich wünschte, es gäbe mehr Professoren die sich damit aktiv befassten – Kleinparteien sind immer noch zu sehr Nische.

  2. Meine Frage wäre: Wie wirkt sich die Europawahl auf das Verhalten von Kleinparteien aus? Nachdem die Hürde ja nun weg ist….

  3. Danke, interessant.

    mal gespannt wie die piraten sich in niedersachen schlagen

  4. Mike…isse endgültig wech?…die Hürde? …Die Antworten lauten m. E.:
    1. 2014 werden mindestens 50 dt. Parteien zur EU-Wahl antreten.
    2. Die Kleinparteien werden Plakate/Flyer in/auf jeder Bahnhofsmission aufhängen/ verteilen. Ergo:
    3. Die Materialschlacht wird sicher nicht zur Abnahme der Politikverdrossenheit führen.

    Hr. Jun war bisher einer der Besten auf dieser Anderen Seite der Macht.

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