04-05-2011 – Mannheimer Politikwissenschaftler rät zur Beibehaltung der Fünf-Prozent-Hürde

War die Europawahl 2009 undemokratisch, vielleicht sogar verfassungswidrig? Nein, meint der Mannheimer Politikwissenschaftler Professor Hermann Schmitt. Schmitt erforscht am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES) seit Jahrzehnten verschiedene Wahlsysteme und ist ein international anerkannter Europawahlexperte. Die Karlsruher Richter haben ihn gestern, am 3. Mai 2011, als sachverständige Auskunftsperson gehört. Bereits am 02.05 hatte Andere-Parteien.de über die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht berichtet.

Die Beschwerdeführer, darunter der Staatsrechtler Professor Hans Herbert von Arnim, wenden sich beim Bundesverfassungsgericht vor allem gegen die in Deutschland geltende Sperrklausel, die auch bei der Europawahl 2009 zur Anwendung kam. Deutsche Parteien, die weniger als fünf Prozent der deutschen Stimmen errungen haben, sind demnach nicht im Parlament der Europäischen Union vertreten. Das verstoße gegen die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und die Chancengleichheit der Parteien, so die Kläger.

Professor Schmitt sieht das anders. Dem Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts unter Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle erläuterte er drei Gründe, die für die Beibehaltung der deutschen Fünf-Prozent-Hürde sprechen.

1. Die Europäische Demokratie könnte ohne Sperrklausel noch schwieriger werden

Die deutsche Fünf-Prozent-Hürde hilft laut Hermann Schmitt, die Zersplitterung des Europaparlaments einzudämmen und seine Arbeitsfähigkeit zu sichern: „Zwar haben manche Länder wie das Vereinigte Königreich und Spanien aufgrund nationaler Besonderheiten bereits heute keine Sperrklauseln“, so Schmitt, der auch an der Universität Manchester lehrt und forscht. „Wenn nun aber auch die anderen großen Mitgliedsstaaten wie Deutschland, Frankreich, Italien und Polen auf eine solche Hürde verzichten, dann gefährdet das die an sich beeindruckende Integrationskraft der supranationalen Fraktionen. Die effektive Mitwirkung des Parlaments an der Rechtsetzung der EU könnte dadurch beeinträchtigt werden.“ Große politische Strömungen wie die Europäische Volkspartei (EVP) und die Sozialdemokratische Partei Europas (SPE), aber auch die der europäischen Grünen und Liberalen, seien für das Funktionieren der europäischen Demokratie wichtig.

2. Negative Rückwirkungen auf die deutsche Demokratie möglich

Die Abschaffung der Sperrklausel bei deutschen Europawahlen könnte auch das bundesrepublikanische Parteien- und Regierungssystem erschüttern. Hermann Schmitt warnt vor einer ungerechtfertigten Aufwertung kleinerer Parteien. „Politische Kräfte, die bisher aus gutem Grund bedeutungslos sind, könnten ihre Präsenz im Europaparlament relativ leicht instrumentalisieren und durch erhöhte Medienresonanz eventuell auch leichter in den Bundestag gelangen. Bei den schon derzeit eher schwierigen Koalitionsvoraussetzungen im Fünf-Parteien-Parlament würde dies das Regieren weiter erschweren.“

3. Kleinere Parteien schneiden bei Europawahlen ohnehin besser ab

Eine undemokratische Benachteiligung kleinerer Parteien bei Europawahlen kann Hermann Schmitt nicht bestätigen. Eher das Gegenteil sei der Fall: „Die Erfolgsaussichten von kleinen Parteien sind bei sogenannten Nebenwahlen wie der Europawahl deutlich besser als beispielsweise bei der Bundestagswahl.“ Das hänge mit dem Mobilisierungsvorsprung zusammen, den kleine Parteien generell in einer Nebenwahl hätten, etwa wegen der geringeren Wahlbeteiligung. Außerdem seien Europawahlen beliebte „Denkzettel-Wahlen“, um die nationalen Regierungen abzustrafen, so Schmitt. Auch das komme kleinen Parteien eher entgegen.

Professor Schmitts Schlussfolgerung: „Würde man nun in dem sowieso schon vorteilhaften Umfeld bei Europawahlen durch die Abschaffung der Sperrklausel auch noch die Wettbewerbsregeln der Parteienkonkurrenz verändern, liefe dies auf einen doppelten Vorteil kleiner Parteien hinaus.“

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  1. Bundesverfassungsgericht erklärt Fünf-Prozent-Klausel bei Europawahlen für verfassungswidrig am 09 Nov 2011 um 11:30 am

    [...] kommt bei Landung in München von der Piste ab Emotionen: 32* | 1* In Blogs gefunden: 04052011 Mannheimer Politikwissenschaftler rät zur 04052011 Mannheimer Politikwissenschaftler rät zur Beibehaltung der FünfProzentHürde [...]

Kommentare

  1. Als Bundesvorstandsmitglied einer kleinen Partei würde ich plädieren, die 5% Hürde auf 2% zu senken, bzw. 250000 Stimmen bundesweit.

  2. Gesetzt den Fall, es gäbe nur Dirketkandidaten. Gewählt ist doch jeder, der genügend Stimmen für EINEN Platz hat. Umgemünzt auf Parteien heißt das: jede Partei, die mindestens ein Mandat von der jeweiligen Mindestmenge: Anzahl der Gesamtwählerstimmen durch Anzahl der zu vergebenen Plätze) erhält ist vertreten, alles andere ist eine Beleidung für die ansonsten verfallenen Wählerstimmen zwischen ca. 0,5 und 4,99% der jeweiligen Wähler (bei 200 Abgeordneten), bei 100 Abgeordneten muß halt mindestens 1% pro Kandidat zusammenkommen. Der Hauptgrund gegen die Beseitigung der 5% Hürde ist doch das die großen 2-4 Parteien Ihren “Claim” so besser verteidigen können. Das hiesige System ist zutiefst undemokratisch (wenn man die Medien miteinbezieht), denn wir haben defacto eine Regierung die meint sie seien die Besitzer, obwohl es eher die Lobbyisten und Geldgeber sind, anstelle dem vorgesehenen Bürgerwillen. Das Volk herrscht durch Wahlen und Abstimmungen. Wo ist die Abstimmung über 5% Hürde ja und nein, Gentechnik ja oder nein, Afganisthan grundgesetzwidrige Kriegsbeteiligung ja oder nein. Also, es gibt leider sehr viel zu tun, was ich hier auch nur kurz angerissen habe, aber andere-parteien.de ist ein Lichtblick.

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