14-03-2010 – Hamburger Wahlnachlese – Piraten mit erstem Bürgermeister – 15:00

Hamburg WahlKurz vor dem Wahltag zur Hamburger Bürgerschaftwahl haben es die Piraten doch noch geschafft: Spitzenkandidat Claudius Holler wurde überraschend Erster Bürgermeister – erster Twitter-Bürgermeister.

Zwar haben sich die „Sonstigen“ im Vergleich zu den letzten Wahlen im Norden erheblich gesteigert, dennoch reichte es auch diesmal nicht für einen Einzug in die Bürgerschaft. Den Wahlkampf im Netz hingegen dominierten klar die kleinen Parteien.

Obwohl die meisten außerparlamentarischen Parteien nur wenige Mitglieder stark sind, (z.B. Bürgerliche Mitte: 19 Mitgliedern, Piratenpartei als mitgliederstärkste Partei:Facebookfreunde 461 Mitglieder) feierten  sie mit einem engagierten Wahlkampf einige Achtungserfolge in der Wählergunst. So versammelte Die PARTEI, um Spitzenkandidat Heinz Strunk („Hamburg, Stadt im Norden“) die meisten Facebookfreunde um sich. Dahinter abgeschlagen CDU, SPD und GAL/Grüne. Mit ca. 1700 „Freunden“ konnte Die PARTEI fast viermal so viele digitale Sympathisanten um sich scharren, wie sie Mitglieder an der Alster zählen. Im Vergleich: Die siegreiche SPD konnte nur knapp über 10% ihrer Mitglieder als „Freunde“ und digitale Unterstützer gewinnen.   

Auch die Wahlwerbespots von Die PARTEI bewiesen, dass das Engagement von bisher eher unpolitischen Kandidaten ungeahnte Kreativität freisetzt. Im Gegensatz zu den eher drögen Spots der großen Parteien, punktete Die PARTEI mit ungewohnter Wahlwerbespotästhetik. In nur wenigen Wochen wurden die zwei Spots und die Rede des Spitzenkandidaten mehr als 100.000 Mal angeklickt. Im Vergleich, den Spot der GAL/Grüne, immerhin bisher Regierungspartei, haben lediglich knapp 1200 Leute auf youtube gesehen. Der Wahlspot der CDU wurde bis zu Wahl ca. 21.000 Mal angeklickt.Zugewinne twitter-charts

Auch bei der plakativen Kreativität lagen die Kleinen vorne. Bei der vom NDR durchgeführten Befragung zum „schönsten Wahlplakat“ war das Votum eindeutig:  Die FREIEN WÄHLER, vor Piratenpartei und Die PARTEI.

Olaf Scholz führte zwar seit Wochen die Beliebtheitsumfragen im Stadtstaat an, trotzdem schaffte er es, wie eingangs erwähnt, nicht auch die meisten Follower bei twitter hinter sich zu vereinen. Selbstverständlich sind die Wähler der Piratenpartei internetaffiner als der traditionelle Sozialdemokrat und natürlich waren nicht alle Follower des Piraten-Spitzenkandidaten auch Hamburger Wähler. Trotzdem zeigt es die Stärke der Kleinen: Sie sind in der Nische erfolgreich – sogar erfolgreicher als der spätere Wahlsieger.

Wahlergebnis Sonstige-Parteien Hamburg

An der Wahlurne scheiterten dann aber am 20. Februar sowohl die Piratenpartei, als auch alle sieben „sonstigen“ Parteien und Wählerinitiativen, die es dieses Jahr auf die Hamburger Wahlzettel geschafft hatten.  Insgesamt erhielten die „Anderen“ immerhin 188.938 Stimmen, das sind insgesamt 5,48 Prozent.  Im Vergleich zur vergangenen Wahl sind das zwar 2 Prozent weniger, aber damals bekam allein die FDP 4,8 Prozent der Stimmen. Lässt man die Liberalen außen vor, haben die kleinen Parteien dieses Mal ihre Prozente verdoppelt.

Alle bei der letzten Bürgerschaftswahl angetretenen „Sonstigen“ konnten 2011 teilweise massive Stimmenzuwächse verzeichnen. Die ödp verdreifachte ihr Wahlergebnis, Die PARTEI verdoppelte und die Piraten konnten ihre 0,2% aus der letzten Wahl sogar mehr als verzehnfachen.

Wo liegen die Hochburgen der Kleinen?

Die Parteien mit den jüngsten Kandidaten, Piraten und Die PARTEI bekamen im urbanen Wahlbezirk Hamburg-Mitte überdurchschnittlich viele Stimmen. Die erstmals antretenden Schulreformgegner „Bürgerliche Mitte“ und die Neulinge der FREIEN WÄHLER konnten in den Außenbezirken Süderelbe und Alstertal-Walddörfer, den sogenannten grünen Speckgürteln von Hamburg, die meisten Wähler überzeugen. Interessanterweise fanden sowohl die Migrantenpartei BIG als auch die „Ausländer raus“-Partei NPD im Wahlbezirk Billstedt-Wilhelmsburg-Finkenwerder die meisten Wähler. Die ödp punktete, genau wie Die LINKE, am stärksten in angesagten Kiez Altona und die Renterpartei in Bramfeld.

Wahlergebnis Andere Parteien in absoluten Stimmen Landesliste

In einigen Wahlkreisen haben die Piraten sogar die bisher regierende CDU überrundet. So zum Beispiel im Veddel, wo man hinter SPD, GAL und LINKE mit 15,3% viertstärkste Kraft wurde. Auch in Grasbrook und Hammerbrook erreichte man mit 17,4% und 11,2% überraschende zweistellige Werte. Als einzige Partei der nicht in der Bürgerschaft vertretenen Parteien erhalten die Piraten eine Wahlkampfkostenrückerstattung, da sie das Quorum von landesweit 1% erreicht haben.

Die Piraten konnten bei den parallel stattfindenden Wahlen zu den 17 Bezirksversammlungen auch als einzige der Sonstigen die 3%-Hürde nehmen. Sie sitzen nun mit zwei Vertretern in den Bezirksversammlungen Hamburg-Mitte und mit einem Direktmandat im Bergedorfer Parlament.

Gerade diese kleinen Erfolge der Neulinge und die Zugewinne bei den bereits etablierten sonstigen Parteien motivieren die „Kleinen“ für weiteres außerparlamentarisches Engagement in der Hansestadt.

Ob es BIG Hamburg und auch die Bürgerliche Mitte in vier Jahren noch geben wird ist schwierig abzuschätzen, aber alle anderen sechs Parteien werden die Hamburger voraussichtlich auch 2015 wieder auf dem Wahlzettel finden.

Martin Fuchs (Hamburger Wahlbeobachter)

Kommentare

  1. Nachfrage an den Autor: Das Problem der Kleinparteien war doch vor allem der kurze Wahlkampf dieses Mal. Inwieweit sehen Sie hierbei eine Möglichkeit, gerade durch die im Internet gut vertretenen Parteien, sogar einen Vorteil daraus zu ziehen, dass es dieses Mal weniger um Plakate ging?

  2. Lieber Herr Peter M.,

    gute Frage. In der Tat waren bei der diesjährigen kurzfristig angesetzten Wahl die Parteien im Vorteil, die schnell kampaganenfähig waren. Wer im Internet gut sortiert war, hatte einen Vorteil.

    Trotz alledem gab es auch in diesem Wahlkampf fast keinen Baum, fast kein Verkehrsschild, was nicht mit einem Plakat behangen war. Selbst die Piraten haben analog mit einer Vielzahl von Plakaten auf sich aufmerksam gemacht. Würde nicht sagen, das dies dieses Jahr weniger war. Die Zeit für Druck und aufhängen war ausreichend.

    Was man zudem nicht vergessen darf. Der Großteil der Hamburger Bürger informiert sich nicht über politische Inhalte im www. Dies ist jedenfalls mein Eindruck. Die Achtungserfolge der “Kleinen” konntend eshalb auch nicht den Sprung aus dem Netz in die Realität übertragen werden.

    Zukünftig, aber dies ist fast eine Binsenweisheit, wird das Internet aber noch viel stärker als Informations- und Kommunikationsmedium auch bei Wahlen in den Vordergrund rücken. Die “Sonstigen” sind in Hamburg m.E. gut vorbereitet.

  3. Danke für Ihre Antwort. Interessante These, dazu gibt es IMO auch noch kaum Literatur oder Studien. Wäre sicherlich ein interessantes Betätigungsfeld, wie wichtig das Internet nun letztendlich bei der Wahlentscheidung ist. Vor allem auch in Bezug auf den Wahl-o-maten.

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