28-09-11 – Dr. H. Liljeberg (INFO GmbH): “Kleinparteien bei Meinungsfragen auszuweisen eine Kostenfrage”

Dr. Holger Liljeberg Wieso werden Kleinparteien bei Meinungsumfragen nicht ausgewiesen? Diese zentrale Fragestellung beschäftigt viele der “Sonstigen Parteien”. “Andere-Parteien.de” ging dieser Frage nach und hat deshalb mit Dr. Holger Liljeberg vom unabhängigen Meinungsforschungsinstitut INFO GmbH gesprochen. Der Chef des Instituts gibt eine deutliche Antwort: Wollte man jede Partei ausweisen, müsse man nur mehr Leute befragen. In der Schlussfolgerung ist “mehr Demokratie” also nur eine Kostenfrage.

Andere-Parteien.de: Sie haben als einziges Insitut die Piratenpartei nahezu komplett richtig prognostiziert. War das erwartbar?

Dr. Holger Liljeberg: Ja, natürlich! Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen haben wir zeitlich relativ kurz vor der Wahl befragt, aber das haben FGW, Emnid, Forsa und Infratest dimap ja auch. Zum anderen erlaubt unser Projektionsmodell schon seit fast 20 Jahren im Zeitverlauf immer auch stärkere Ausschläge bei den Wahlabsichten, die unserer Erfahrung nach auch so korrekt sind. Die Wahlabsichten gleichen im Zeitverlauf eben eher einem Aktienkurs als einer glatten Linie. Außerdem haben wir derartige Ausschläge nicht zum ersten Mal prognostiziert. Schon 1998 hatten wir in Sachsen-Anhalt als einziges Institut den hohen Stimmenanteil der DVU erhoben, 2001 in Berlin hatten wir als einziges Institut die Linke bei den tatsächlich erreichten 23% gesehen und auch 1998 beim BT-Wahlkampf-Duell Pau-Thierse im Prenzlauer Berg lagen wir mit unserem 0,1%-Vorsprung für Pau richtig.

Andere-Parteien.de: Nach dem Einzug der Piraten in das Abgeordnetenhaus in Berlin: Was ändert sich in der Meinungsbefragung? Werden die Piraten nun zukünftig immer als eigenständigen Balken ausgewiesen?

Dr. Liljeberg: In den Befragungen selbst ändert sich nichts. Schon bisher werden ja immer alle Parteien namentlich erfasst, aber diese Ergebnisse eben nur teilweise veröffentlicht. Bei der Vielzahl von Parteien, die sich jeweils zur Wahl stellen, wäre eine vollständige Veröffentlichung praktisch unüberschaubar. Wenn der gegenwärtige Trend anhält, dann werden zumindest bei uns die Piraten auch weiterhin ihren “eigenen Balken” erhalten. Den hatten Sie bei uns im übrigen auch schon bei den letzten Bundestagswahlen 2009.

Andere-Parteien.de: Bisher hieß es immer, es sei nicht möglich, “Sonstige Parteien” auszuweisen, da die Abweichungen hierbei zu groß seien. Bei der FDP hat dies aber funktioniert. Ist dieses Argument damit hinfällig?

Dr. Liljeberg: Die absoluten Abweichungen sind bei kleinen Parteien aufgrund der geringen Werte sehr gering, dafür sind aber die relativen Abweichungen sehr hoch. Wenn also z.B. bei 1.500 Interviews eine Partei 1,0 Prozent der Stimmen erhalten würde, kann der tatsächliche Wert zwischen 0,6% und 1,6% liegen. Das ist statistisch gesehen nur ein sehr geringes Fehlerintervall, würde aber eine relative Schwankung von 40% “nach unten” und 60% “nach oben” bedeuten. Aus diesem Grunde scheut man sich, solche Werte auszuweisen. Zudem müsste man ja dann auch mit Kommastellen statt mit gerundeten Werten arbeiten (0,5% wären dann 1%, 1,4% aber eben auch). Damit würde man eine Genauigkeit vorgaukeln, die eine Umfrage von Natur aus nicht haben kann.
Völlig anders wäre es, wenn die Umfragen mit größeren Stichprobenumfängen arbeiten könnten (z.B. 5.000 Interviews statt nur 1.000). In diesem Fall könnte man auch für die kleinen Parteien genauere Ergebnisse gewinnen. In der Praxis scheitert das aber im Regelfall an den damit verbundenen Kosten, irgendjemand muss die Befragungsdurchführung ja schließlich auch bezahlen.
Bei der FDP in Berlin liegen die Verhältnisse nochmals etwas anders, da man ja dort im Gegensatz zu anderen kleinen Parteien eine deutlich größere Ausgangsbasis für die Bewertung hat (immerhin über 7% der Stimmen bei den letzten Angeordnetenhauswahlen). Das gleiche trifft in ähnlicher Weise auf die NPD zu.

Andere-Parteien.de: Ist die FDP dann im umgekehrten Sinne zukünftig unter “Andere Parteien” zu fassen?

Dr. Liljeberg: Das wird sich zeigen. Wenn die FDP dauerhaft auf ihrem jetzigen 2%-Niveau verharren sollte oder sogar noch weiter sinkt, ist das denkbar.

Andere-Parteien.de: Gibt es ungeschriebene oder geschriebene Regeln, die festlegen, ab wann eine Partei eine “Andere” ist?

Dr. Liljeberg: Im Regelfall werden unter “andere Parteien” diejenigen zusammengefasst, die nicht im Parlament vertreten sind, auch noch nicht dort vertreten waren und auch keine erkennbare Chance auf einen Einzug ins Parlament haben. Die Piraten haben wir genau zu dem Zeitpunkt ausgewiesen, als eine solche Chance erkennbar wurde. Das kann auch von Wahl zu Wahl unterschiedlich sein. Wenn sich z.B. vor einer Wahl im Hamburg oder Bayern eine neue Partei gründet und erkennbar Wählerstimmen gewinnen kann, heißt das noch nicht, dass diese Partei zwangsläufig auch bei Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern oder Baden-Württemberg irgendeine Bedeutung haben muss.

Andere-Parteien.de: Es gibt Stimmen die behaupten, dass die Klassifikation “Sonstige Parteien” in den Umfragen Wähler davon abhält, für Kleinparteien zu stimmen. Wie stehen Sie zu diesem Argument?

Dr. Liljeberg: Es gibt bisher weder einen Beweis noch einen Gegenbeweis für die These, dass Wahlumfragen das Wahlergebnis beeinflussen. Unterschiedliche Parteien argumentieren da auch sehr konträr. Manche argumentieren, dass die Darstellung solch geringer Prozentwerte die Wähler davon abhält, diese Partei zu wählen, weil sie dann ihre Stimme erkennbar “verschenken”. Manche argumentieren umgekehrt, dass dieser Effekt dadurch eintritt, dass man die Stimmen eben nicht ausweist. Bei den Piraten in Berlin hat man gerade gesehen, dass die Stimmung sich zunächst auch ohne Darstellung der Einzelergebnisse zu ihren Gunsten verändert hat.

Andere-Parteien.de: Lassen sich Wähler direkt von Meinungsumfragen beeinflussen?

Dr. Liljeberg: Wie gesagt, es gibt für diese These bisher weder einen Beweis noch einen Gegenbeweis. Niedrige Umfragewerte können Wähler aktivieren oder auch verschrecken, hohe Umfragewerte Wähler ermutigen oder eben auch dazu verleiten, gar nicht erst wählen zu gehen, da die Partei ja anscheinend nicht mehr von einzelnen Stimmen abhängt.

Andere-Parteien.de: Aus demokratischer Sicht: Halten Sie es für demokratisch, nicht alle Parteien aufzulisten?

Dr. Liljeberg: Unsere Umfragen sind ja Bestandteil der Demokratie, indem wir auf wissenschaftlicher Basis zeigen können, was der Souverän, also das Volk, gerade denkt. Und wenn eine Partei nur wenige Stimmen auf sich vereinen kann, ist das ja sozusagen auch ein demokratischer Prozess. Ansonsten halten wir es nicht für undemokratisch, nicht jede winzige Minderheit auch darzustellen – wo genau sollte da eine Grenze gezogen werden? Häufig sagen in der gesamten Stichprobe nur 1 oder 2 Personen, dass sie eine bestimmte kleine Partei wählen würden. Letztlich würde dies darauf hinauslaufen, auch jede Einzelmeinung auflisten zu müssen. Und davon gibt es wesentlich mehr, als mit einer Umfrage überhaupt erfassbar wären.

Andere-Parteien.de:  Wenn Sie die Wähler am Telefon befragen, bekommt dieser alle Parteien aufgelistet oder fragen Sie nur, welche Partei dieser wählen würde?

Dr. Liljeberg: Diese Abfrage erfolgt grundsätzlich ohne Vorgaben. Lediglich die Interviewer haben eine sog. Precode-Liste mit den am häufigsten genannten Parteien, um die Interviewdauer zu verkürzen. Diese Liste wird aber nicht vorgelesen. Weitere Parteien werden namentlich erfasst, im Zweifelsfall wird auch nachgefragt, welche konkrete Partei der Befragte meint.
Lediglich bei den Befragungen in den Wahllokalen am Wahltag selbst für die Wahlprognosen von ARD und ZDF erhalten die Befragten die komplette Liste mit allen Parteien analog zu den Wahlunterlagen.

Interview: Tobias Schlitzke

Kommentare

  1. Es ist nachvollziehbar, daß eine größere Datenbasis erforderlich ist, um kleine Parteien einigermassen treffend zu erfassen. Das heiss aber auch: Demokratie scheitert an der Kostenfrage.

    Falsch ist die Behauptung, Meinungsumfragen würden keine Wahlen beeinflussen. Es ist empirisch vielfach belegt, daß Kleinparteien, sobald sie in die Nähe der 5%-Hürde kommen, einen Schub bekommen. So auch bei den Piraten, die von 4,5% wenige Wochen vor der Wahl auf fast das Doppelte geschossen sind, ohne daß ein anderer Faktor das erklären könnte.

  2. @kettensprenger, haben Sie dafür auch irgendwelche Belege?

  3. Das habe ich jedes mal (!) bei Wahlen beobachtet, habe das aber nicht protokolliert (wozu auch?). Machen Sie sich doch selbst einmal die Mühe, die Daten zu verifizieren. Nehmen Sie Kontakt mit den Meinungsforschungsinstituten auf und bilden Sie eine Zeitreihe in den letzten 6 Monaten vor der Wahl. Achten sie mal darauf, wie die Werte nach oben schießen, sobald eine Kleinpartei in die Nähe der 5%-Mauer kommt.

    Beispiele:
    Piraten 2011 in Berlin,
    Freie Wähler 2009 in Bayern,
    NPD 2004 in Sachsen
    NPD 2006 in Meck-Pomm

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