03-04-10 – 19:00 – Zwei Kreuze = mehr Entscheidung?

Alexander Slonka

Viele Wähler werden es erst in der Wahlurne bemerken: bei der Landtagswahl am 9. Mai in NRW stehen in Zukunft nicht nur ein, sondern zwei Kreuze zur Verfügung. Zu Unsicherheiten beim Ankreuzen wird dies aber kaum führen. Das Wahlsystem ist auf den ersten Blick das selbe wie bei der Bundestagswahl im vergangenen Herbst. Auf den zweiten Blick stimmt zwar der Sinn der Stimmen überein (Erststimme für einen Direktkandidaten, Zweitstimme für eine Partei), nicht aber die Umrechnung des Wahlergebnisses auf die Verteilung der Sitze im Parlament.

Wir erinnern uns: vor der Bundestagswahl hatte es eine Debatte um das Bundestagswahlrecht gegeben. Vom Verfassungsgericht war das so genannte „negative Stimmgewicht“ kritisiert worden. Verkürzt gesagt kann dieser Effekt dazu führen, dass ein Wähler mit seiner Stimmabgabe für eine Partei dieser schaden kann, weil sie durch die zusätzliche Stimme ein Mandat verliert. Ein Vorschlag zur Behebung dieses Mangels war eine Wahlrechtsreform, durch die Überhangmandate verunmöglicht werden. Damit hätte man zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: der Effekt des negativen Stimmgewichts wäre beseitigt worden, die kostenintensiven Überhangmandate wären nicht mehr entstanden. Natürlich ist das Kostenargument keines, mit dem man gegen regulär gewählte Parlamentarier argumentieren sollte. Überhangmandate entstehen aber als Effekt eines unzulänglich ausgestalteten Wahlsystems und vergrößern die Parlamente über ihre vorgesehene Größe hinaus; daraus entstehende Kosten kann man also zu Recht als überflüssig bezeichnen.

Eine deutliche Vergrößerung des Parlaments ist nun auch durch das in Richtung Bundestagswahlrecht reformierte Landtagswahlrechts in NRW zu erwarten. Schlimmer noch: im Gegensatz zum Bundestag, in dem die Hälfte der Mandate direkt und die andere Hälfte über eine Liste vergeben werden, ist die Zahl der Direktwahlkreise im Land NRW deutlich höher. 128 Abgeordnete werden direkt gewählt, 51 ziehen über die Reserveliste ihrer Partei ein. Überhangmandate entstehen immer, wenn mehr Direktkandidaten einen Wahlkreis gewinnen, als der Partei prozentual, also laut Zweitstimmenergebnis, zusteht. Da der Zweitstimmenanteil der großen Parteien SPD und CDU seit Jahren zurückgeht, sie aber in aller Regel noch die Wahlkreise gewinnen, ist durch das neue Wahlsystem in NRW eine hohe Zahl an Überhang- und dadurch auch an Ausgleichsmandaten zu erwarten. Wahlrechtsexperten gehen bei einem ungünstigen Wahlausgang von insgesamt bis zu 287 gewählten Mandatsträgern aus; die derzeit noch durch den Landtagsausbau vorhandene Baustelle könnte sich in diesem Fall direkt an den nächsten Ausbau machen. Ein zusätzliches Kreuz wird damit zu einem Rückschritt, allein weil das Problem der Überhangmandate vor der Reform hinlänglich bekannt war.

Was aber wäre die Lösung? Natürlich, ein besseres Wahlsystem! Was spräche dagegen, das in anderen Bundesländern auf kommunaler und teils auch auf Landesebene praktizierte Mehrstimmenwahlrecht auch in NRW einzuführen? Der Grundgedanke der Wahlrechtsreform in NRW war ja, den Wählerinnen und Wählern eine differenziertere Kandidatenauswahl zu erlauben. Analog zum NRW-Wahlrecht vor der Reform könnten die Wähler Kandidaten in ihrem Wahlkreis wählen. Dabei wären aber 3 bis 5 Mandate zu vergeben, die Zahl der den Wählern zur Verfügung stehenden Stimmen wäre entsprechend. Sowohl das Anhäufen von Stimmen auf einen Kandidaten (Kumulieren), als auch das Verteilen der Stimmen, sogar über Parteigrenzen hinweg (Panaschieren) würde möglich. Durch die Reform weg von Ein-Mandat-Wahlkreisen hin zu Mehrmandatswahlkreisen sänke die Zahl der Überhangmandate deutlich. Die gewählten Kandidaten wären durch den räumlich begrenzten Wahlkampf stark mit ihrem Wahlkreis verwurzelt, was die immer wieder beklagte Distanz zwischen Wählern und Gewählten verringern würde. Wählerinnen und Wählern würden durch die Möglichkeit des Kumulierens und Panaschierens einen spürbaren Einfluss auf die Auswahl der Parlamentarier bekommen. Ein Schritt zu mehr Demokratie in NRW!

Alexander Slonka ist Landesgeschäftsführer von Mehr Demokratie e.V. in Nordrhein-Westfalen

Kommentare

  1. Absolut überzeugender Beitrag, genau das spricht mir aus der Seele!

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