08-08-2011 – Jimmy Martin Sengl: “GRÜNE als Vorbild für Kleinparteien”

Jimmy SenglKolumnist Jimmy Martin Sengl ist Wissenschftler an der Hochschule für Politik in München und Experte im Bereich “Andere Parteien“. Nach mehr als 30 Jahren sind heute die Ideen und Themen einer einstmals kleinen Idealisten und Spinnerpartei zu einem Teil des politischen Mainstreams geworden. Aktuelle Umfragen zeigen Zustimmungswerte die mittlerweile in den Bereich der noch-Volksparteien vordringen.  Dieser Erfolg hat Ursachen die über Fukushima hinausgehen und für kleine Parteien Chancen bieten.

Die Gründe für die Stärke der Grünen lassen sich in der jüngeren Vergangenheit am offensichtlichsten bei Großereignissen wie der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko oder der Atomkatastrophe, die sich noch immer in Japan abspielt, (wieder)finden. Dass eine Partei wie die Grünen von diesen schrecklichen Ereignissen so profitieren konnte, ist hauptsächlich zweier Grundvoraussetzungen geschuldet. Zum einen sind und waren die Grünen immer DIE Ökopartei in Deutschland und zum anderen ist es den Grünen gelungen sich in der medialen ( und damit öffentlichen) Wahrnehmung untrennbar mit dem Themenkomplex Umwelt zu verbinden. Damit war es einer ehemals sehr kleinen Partei möglich eine mediale Arena zu erschaffen, in der sie Heimvorteil hat. Mit der klaren Positionierung in der öffentlichen Wahrnehmung konnten sich die Grünen darauf verlassen, bei Umweltthemen eine schon fast „natürliche“ Kompetenz und fast noch wichtiger eine „natürliche“ Relevanz zu erhalten.

Die Wahlen in Rheinland-Pfalz und in Baden-Württemberg stellten einen Kumulationspunkt dieser Grundvoraussetzungen mit der Bedeutung grüner Positionen dar. Die Grünen traten, um bei der Metapher des Heimspiels zu bleiben, gegen eine Mannschaft an, die sich schon nicht mehr sicher war, ob sie nicht auf der richtigen Seite spielte. In der öffentlichen Wahrnehmung waren die Grünen die einzige Partei, die in der Atomfrage schon immer auf der richtigen Seite stand. Das einstige Randthema Umwelt und Anti-Atomkraft, das die Grünen besetzen wurde zum Hauptthema und die Grünen damit Mehrheitsfähig. Mit ihrem ersten Ministerpräsidenten zeigt sich nun, dass man als einstmals unter 5%-Partei in Verantwortung kommen kann. Dieses Potential hatten und haben aber nicht nur die Grünen.

Konnte dereinst  die Bayernpartei der CSU Konkurrenz machen, schaffte die Piratenpartei es gar, mit Themen wie dem freies und offenes Internet  in das Europaparlament einzuziehen. Was für solche Parteien wichtig war, ist die Möglichkeit die eigene Politik darstellen zu können und mit einem eindeutigen Thema massenmediale Relevanz zu erreichen. Der bekannte Politik- und Medienwissenschaftler Ulrich Sarcinelli stellte 2005 dazu lakonisch fest:

„Politik, zumal demokratische Politik, die zustimmungsabhängig und deshalb auch begründungspflichtig ist, braucht selbst Publizität und muss deshalb mangels eigener Medien die allgemein zugänglichen Massenmedien als Resonanzboden und Bühne zur „Politikdarstellung“ nutzen.“[1]

Die einfache Ableitung hier wäre, wer seine Politik in den allgemein zugänglichen Massenmedien darzustellen vermag, wird potentiell zustimmungsfähig. Der Umkehrschluss besagt, wer den massenmedialen Resonanzboden nicht findet – verschwindet.

Die wirkungsvollste und zugleich schwerste Maßnahme für kleine Parteien ist also, sich einem Thema anzunehmen, dass potentiell eine hohe Relevanz für eine Gesellschaft entwickeln kann, und das von den etablierten Parteien noch nicht gesehen oder zumindest noch unterschätzt wird. Beispiele hierfür waren in der jüngeren Vergangenheit, die Anti-Atomkraft- und Umweltbewegung (Die Grünen), die Frauenbewegung (nur eingeschränkt  für politische Parteien nutzbar, da reine Frauenpolitik als Wesenskern knapp 50% der Bevölkerung ausschließt, aber durchaus in Parteien wie Die Grünen als wichtiges Politikfeld integriert), das Internet und die damit einhergehende Wissens-und Kommunikationsrevolution (Piratenpartei), damit auch verbunden die Überwachungs- und Datenschutzdebatte (eigentlich FDP und sicher auch Piratenpartei), das Auseinandertriften sozialer und ökonomischer Gesellschaftsschichten (Die Linke, in Teilen auch rechtsradikale Parteien), fehlende Bürgerbeteiligung  (Ödp, Die Grünen) und leider auch als Negativbeispiel die Angst vor Migration und der sogenannten „Überfremdung“  (besonders rechtsradikale Parteien, dank der Sarrazin-Debatte allerdings auch im bürgerlich-konservativen Lager salonfähig geworden). All die hier aufgezählten Entwicklungen haben mehr oder weniger erfolgreich politische Bewegungen und Parteien hervorgebracht, weil sie genug Relevanz erlangt haben um politisch umsetzbar bzw. nutzbar zu werden. Es zeigt sich also, dass eine analytische Weitsicht verbunden mit einem politischen Gespür für die gesellschaftliche Bedeutung von Themen ein wichtiger Grundstein für jede Partei ist. Kleinen Parteien sind im Besonderen auf eine solche Analyse angewiesen, wenn sie den Selbstanspruch haben auch in politische Verantwortung zu kommen. Relevanz in Themen zu erlangen, die bereits von etablierten Parteien besetzt sind, ist mit den eingeschränkten finanziellen wie auch personellen Ressourcen kleiner Parteien kaum möglich.

Wenn gleich diese Aufgaben die Möglichkeiten kleiner Parteien oft zu übersteigen scheinen, verfügen diese aber auch über einen entscheidenden Vorteil. Kleine Parteien sind in ihrer Struktur oft weniger starr und eingeschränkt  und gewinnen so gegenüber den großen Parteien an Beweglichkeit und Koordinationsfähigkeit. Es ist leichter möglich eine eindeutige Linie zu vertreten, da der Abstimmungsprozess noch mit deutlich weniger Akteuren und Interessensgruppen abläuft. Damit wird es möglich aktuelle Entwicklungen schneller aufzugreifen und zu integrieren.  Ein Bonus der bei großem Erfolg zusehends verloren gehen kann, aber bis dahin einen klaren Vorteil gegenüber den etablierten Parteien darstellt. In der Vergangenheit ist es kleinen Parteien oft nicht gelungen die Vorteile ihrer Größe zu nutzen, wollen sie aber erfolgreich sein müssen sie sie nutzen!

Führt man nun die thematische Positionierung und die besonderen Vorteile, zusammen ergeben sich  Chancen die sich so nur kleinen Parteien bieten. Wenn es nun einer solchen Partei gelingt ihr originäres Thema zu finden, sich positiv damit zu verbinden und dabei die Vorteile ihrer Größe zu nutzen, dann ist vielleicht irgendwann nicht jeder irgendwie grün, sondern jeder irgendwie Pirat.


[1] Sarcinelli, Ulrich; Politische Kommunikation in Deutschland – Zur Politikvermittlung im demokratischen System; VS Verlag für Sozialwissenschaften; Wiesbaden 2005; S. 30

Autor:

Jimmy Martin Sengl

B.A. Politik- und Medienwissenschaft

Kommentare

  1. toller bericht, danke dafür!

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